Das medienpädagogische Konzept
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Der Wuppertaler Ansatz von aktiver Jugendvideoarbeit nutzt Video nicht (vorrangig) als zeitgemäße, pädagogisch wirksame Methode der Freizeit- oder Bildungsarbeit, sondern will Jugendlichen durch selbstproduzierte Filme die Möglichkeit zur kreativen Artikulation ihrer Ästhetiken, Meinungen und Lebensinhalte geben. Das Motto ist: das bestmögliche Video für das größtmögliche Publikum.
Video wird als kommunikative, neue Kulturtechnik gesehen; die Lust am Film und am künstlerischen wie inhaltlichen Ausdruck stehen bei den TeilnehmerInnen wie den unterstützenden MitarbeiterInnen im Vordergrund. Das Kino als Präsentationsort ihrer Filme wird so die Bühne, wo Jugendliche ihre sinnhaften oder sinnlosen Geschichten erzählen können; von dem, was in ihren Herzen und Köpfen vorgeht, und wo sie sich selbst sexy, intelligent, witzig oder politisch darstellen können. Wo zwischen ihren Ängsten und Träumen – sich selbst inszenierend oder sich und ihr Umfeld dokumentierend – Realitäten und Illusionen verschwimmen.
Die dominierenden Themen der Jugendlichen in ihren Kurzspielfilmen, Reportagen, Trickfilmen und Musikvideos sind – wie bei ihren großen Vorbildern in Kino und Fernsehen – Liebe/Sex und Gewalt; nicht, weil sie dort nur abgucken würden, sondern weil beide Themen mit ihren lustvollen und problematischen Anteilen in dieser Lebensphase eine besonders dynamische Rolle spielen und außerdem kreativ unerschöpfliche Themen sind.
Das Medienprojekt Wuppertal ist als 2001 aus der Stadt Wuppertal outgesourcte medienpädagogische Einrichtung mit ca. 100 Filmen pro Jahr die größte und ambitionierteste Videoproduktion für Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland. Diese werden hier nach dem Prinzip learning by doing produktorientiert bei ihren Videoproduktionen unterstützt, ihre Kurzfilme im Kino, in Schulen und Jugendeinrichtungen präsentiert und als Bildungsmittel in einer eigenen Edition und diversen Fremdverlagen bundesweit vertrieben. Durch diesen konkurrenzlosen Vertrieb wird die für die Jugendlichen kostenlose Produktion finanziert. Ein Drittel der jungen VideomacherInnen (im Alter zwischen 14 u. 26 Jahren, Schwerpunkt 16-20 Jahre) produzieren hier privat in Freundesgruppen, der Großteil filmt im Rahmen von Schulprojekten, Jugendtreffs, Vereinen und Beratungsstellen. Die Videos werden, soweit notwendig, von professionellen FilmemacherInnen und MedienpädagogInnen aus der Region angeleitet.
Produktive Standbeine des Medienprojektes sind:
- das regelmäßig erscheinende Jugendvideomagazin »borderline«
- thematische Videoworkshops und Videoaktionswochen
- Doku-Soaps
- thematische Dokumentationen
- internationale Videoprojekte
Medienpädagogik im oben beschriebenen Sinne definiert sich in Wuppertal auch als präventiver Jugendschutz, und dies hat nicht nur Finanzierungsgründe, weil Kultur und insbesondere die von Jugendlichen ungern gefördert wird. Sie ist auch durch ihre kooperativen, partizipativen und produktiven Elemente hochwirksam bei der Entwicklung einer demokratischen, reflexiven, lustvollen Persönlichkeit von Jugendlichen.
Das Medienprojekt arbeitet in seinen Videoproduktionen ausschließlich in Projektform (i.d.R. über mehrere Wochen), manchmal in der Form von mehrtägigen Workshops. Die Einrichtung wird von einem hauptamtlichen Medienpädagogen geleitet. Alle anderen MitarbeiterInnen sind freiberufliche ProjektmitarbeiterInnen, die für die Anleitung spezifischer Projekte regelmäßig eingestellt werden. Von ihnen wird eine filmisch (und hierbei ist das Künstlerische wie das Handwerkliche gleichermaßen gemeint) und pädagogische (was nicht eine pädagogische Ausbildung, sondern ein bestimmtes demokratisches Menschenbild, Reflektiertheit und vor allem hohe kommunikative und animative Fähigkeiten bedeutet) Doppel-Qualifikation erwartet, verbunden mit Lust und Neugierde an Jugend und Film.
Im Regelfall wird mit homogenen Gruppen eines Alters gearbeitet, wobei sich eine Mischung von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Bildungsgrad, sozialem Status, Peergroup-Zugehörigkeit oder Subkultur natürlich in den Gruppen, themenbezogen oder zwischen den Gruppen vollzieht. Durch die gemeinsame Präsentation einer größeren Anzahl von Kurzfilmen verschiedener Genres, Themen und Produktionsgruppen in den Kinopremieren wird in einem heterogenen Publikum eine Auseinandersetzung mit den Ideen und Gedanken anderer Jugendlicher erreicht und der eigene Film durch die gemeinsame Rezeption reflektiert.
Am dynamischsten und produktivsten sind nicht die durch PädagogInnen motivierten Projektgruppen, sondern künstlerisch ambitionierte oder inhaltlich involvierte Jugendliche, wie etwa der junge Filmnachwuchs, der mit oder ohne Chancen die filmischen Berufe ansteuert oder solche Jugendliche, die das Medium Film in erster Linie als Mittel zum Zweck der Kommunikation, Agitation und Selbstdarstellung begreifen, wie z.B. lesbische und schwule Gruppen, politische Jugendliche, MigrantInnen, Musikbands, subkulturelle Peergroups. Neben den filmimmanenten Gründen von künstlerischem und inhaltlichem Ausdruck sind wichtige motivierende Begleitumstände einer Videoproduktion Spaß, Neugierde, Unterhaltung, Beziehungsaktivität und Action. Denn die meisten von ihnen wollen – zum Leidwesen des Medienpädagogen – nicht die jungen FilmemacherInnen werden (auch wenn sie dies natürlich faktisch zeitweise sind), sondern produzieren einen Film in ihrem Leben mit entsprechend biographischem Wert. Nur ca. 20% der TeilnehmerInnen sind mit jedem produzierten Film autonomer werdende Wiederholungstäter. Daher stehen bei der Filmproduktion nicht die Aneignung der Technik, sondern die Autorentätigkeit, die filmgestalterische Umsetzung und die Montage, d.h. die kreativen Elemente im Vordergrund. Gerätebedienung (und damit einhergehende Fehlervermeidung) ist ein Mittel zum Zweck und nicht der Zweck selbst.
Zur Reflexion der eigenen sexuellen oder kulturellen Identität wird regelmäßig in geschlechtsspezifischen oder ethnisch-homogenen Projekten gearbeitet.
Was unterscheidet idealtypisch solche Jugendproduktionen von normalen Amateurfilmen oder professionellen Fernseh- und Kinoproduktionen? Der Filminhalt ist gleichbedeutend mit dem Macher, es wird nicht nach außen recherchiert, sondern nach innen reflektiert, dem Wissen und der Dynamik der Jugendlichen stehen die Klischees, die kommerziellen und Zielgruppenabhängigkeiten der großen Medien entgegen. Im Normalen wird das Besondere gesucht, selbstbestimmt werden intime Grenzen der Selbstdarstellung von Körper, Gedanken und Erfahrungen ausgelotet, durch pulsierende Authentizität wird Neugierde und Solidarität der ZuschauerInnen provoziert. Wie im Hollywood-Kino geht die Message über das Herz und nicht über den Kopf, die Filme sollen emotional, subjektiv und intelligent sein. Die Auseinandersetzungen der FilmemacherInnen mit dem Publikum vollziehen sich lokal-direkt, die subjektiven Thematisierungen haben jedoch globale Inhalte, die allgemeine Themen des jungen Lebens und damit auch genauso interessant für Jugendliche und PädagogInnen in anderen Städten sind.
Der pädagogische Ansatz heißt:
Nicht Youth-Education, sondern Youth-Involvement, nicht Problemlösung, sondern Problemdarstellung im Film, nicht Happy-End-Filme, sondern altersgemäße Pointierungen, nicht Objektivität in einem Film, sondern Pluralität zwischen vielen Filmen, nicht Moral- und Wissensvermittlung, sondern Entwicklung durch Reflexion des Eigenen und Auseinandersetzung mit dem Fremden.
Zusammengefasst – Was ist das Erfolgsrezept der Arbeit des Medienprojekts Wuppertal?
- hohe Quantität und Qualität von Kurzvideoproduktionen
- Verbindung von künstlerisch-inhaltlichem Ausdruck und pädagogischer Prävention
- Projektarbeit in kurzen Arbeitsphasen
- TeilnehmerInnen quer durch alle Subkulturen, Alter, Geschlechter, Bildungsgrade, ethnische Herkunft
- filmisch-künstlerisch und inhaltlich ambitionierte, engagierte freiberufliche MitarbeiterInnen, die in medienpädagogische Modellprojekte gestellt werden
- jugendgemäßes, breit gefächertes Inhalts- und Genre-Spektrum
- Filme werden für ZuschauerInnen gemacht! Massenorientiertes Präsentations-, Vertriebs- und Marketingkonzept, zeitliche Nähe von Produktion und Präsentation
- hoher Spaßfaktor, Freiheitsliebe ohne Zensur, und Kreativität der Veränderung
Die Vermittlung von Medienkompetenz ist in diesem medienpädagogischen Ansatz nicht explizites Ziel, sondern Nebenprodukt des Medienschaffens.